Die Linie der Bundes-ÖVP

Man kann der Bundes-ÖVP sicher nicht vorwerfen, sie habe keine Linie. Auch eine Schlangenlinie ist ein solche. Aber der Reihe nach …

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Am 17. November 2015 präsentierten SPÖ und ÖVP, vertreten durch BM Heinisch-Hosek und StS Mahrer, ein „fast geilesReformpapier. Darin heißt es betreffend Modellregionen zur achtjährigen Volksschule: „Die Gesamtzahl der Standorte in den Modell-Regionen darf in keinem Bundesland 15% aller Standorte der jeweiligen Schulart sowie 15% aller Schülerinnen und Schüler der jeweiligen Schulart überschreiten.

Schon kurz danach brach Streit darüber aus. Die Unterrichtsministerin erklärte, „dass es bei der 15-Prozent-Obergrenze für die Modellregionen zur gemeinsamen Schule noch Bewegung nach oben geben könnte“ (1), was prompt die Reaktionen der Bundes-ÖVP provozierte. „Ich sehe hier überhaupt keinen Bedarf zu einer Änderung zu kommen. Jetzt haben wir diese Einigung und die sollten wir gemeinsam vertreten […] Sie [Anm.: SPÖ-Verhandlerin BM Heinisch-Hosek] hat das ja noch bejubelt mit Staatssekretär Mahrer“, meinte der ÖVP-Klubobmann im Nationalrat Reinhold Lopatka. (2) Der genannte Staatssekretär hielt fest: „Die 15 Prozent sind eine Einigung der Bundesregierung und genauso hat die Einigung der Bund-Länderkommission auch ausgesehen und die 15 Prozent sind die 15 Prozent. (…) Wir haben das gerade erst vor zwei Wochen fixiert, ich sehe überhaupt gar keine Notwendigkeit, an den 15 Prozent irgendwie umzurütteln.“ (3)

Die Bundes-ÖVP hat mit dieser Positionierung schon eine gehörige Portion an Selbstzerstörungstrieb bewiesen. Denn in einem groß beworbenen „Evolutionsprozess“ für die Entwicklung eines neuen Parteiprogramms hatten sich bei einer Umfrage unter den Parteimitgliedern 84 % „für ein differenziertes Schulsystem“ ausgesprochen. Dies führte zu einer unmissverständlichen Textierung im neuen Parteiprogramm: „Wir bekennen uns zum Leistungsprinzip und zu einem differenzierten Schulsystem, das den unterschiedlichen Talenten und Interessen der Kinder gerecht wird. Daher bekennen wir uns auch zum Gymnasium und allen anderen Schularten in einem differenzierten Schulwesen …“ (4)

Dementsprechend ist auch die Linie der bedeutenden Landesparteiorganisationen. Beispielhaft sei Niederösterreich genannt: „Gesamtschultendenzen sind bildungspolitischer Wahnsinn. Gleichmacherei und Nivellierung nach unten bringen junge Menschen morgen nicht nach vorne. Wir brauchen Ausbildungsstätten auf hohem Niveau und werden für den Erhalt unserer AHS-Schulen kämpfen.“ (5)

Und nun ist heute am Titelblatt der „Vorarlberger Nachrichten“ zu lesen: „Mitterlehner für echte Schul-Modellregion“. Und weiter heißt es dann, dass sich der Vizekanzler „dezidiert dafür ausgesprochen hat, sich in den entsprechenden Gremien für das Vorarlberger Modell der Gemeinsamen Schule einsetzen zu wollen“ – ein Modell, das die Einführung der achtjährigen Volksschule flächendeckend in ganz Vorarlberg vorsieht.

Und ich dachte bisher, im Liegen könne man nicht umfallen …

(1) Heinisch-Hosek glaubt an Bewegung bei Gesamtschulquote. In: Standard online vom 28. November 2015.

(2) Ö1-Morgenjournal vom 2. Dezember 2015.

(3) a.a.O.

(4) Grundsatzprogramm 2015 der Österreichischen Volkspartei in der Fassung vom 12. Mai 2015, S. 38.

(5) Landeshauptmann-Stellvertreter Mag. Wolfgang Sobotka, zit. n. Martin Gebhart, Plädoyer für Gymnasien. In: NÖN online vom 1. März 2016.

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7 Gedanken zu “Die Linie der Bundes-ÖVP

    1. Vorausgesetzt, der „bildungspolitische Wahnsinn“ wird in Vorarlberg WIRKLICH flächendeckend durchgeführt, dann werden ja vermutlich in spätestens 10 Jahren überdruchschnittlich viele beklagenswerte Opfer aus den „wahnsinnigen“ Vorarlberger Schulen kommen und die Debatte hat sich erledigt. Ansonsten würde ich an Stelle des Herrn Sobotka mit dem Begriff „Wahnsinn“ generell ein bisschen sparsamer umgehen.

      1. Für den „bildungspolitischen Wahnsinn“ einer Gesamtschule mit möglichst inhomogenen Klassen kann man gar kein zu starkes Wort wählen! Ich habe in Manchester als Sprachassistent an zwei Comprehensive Schools unterrichtet. In den Hauptgegenständen waren die Schüler in drei (möglichst homogene) Leistungsgruppen aufgeteilt, entsprechend konnte sinnvoller Unterricht stattfinden. Was sich allerdings teilweise in den gemischten Klassen der anderen Gegenstände abspielte, kann selbst mit dem Wort „Wahnsinn“ kaum zutreffend beschrieben werden!!
        Soviel zur Praxis einer vielleicht ganz schönen, aber völlig realitätsverleugnenden Idee!

  1. Die ÖVP braucht ihre bisherigen Wähler nicht mehr. Sie hat ja jetzt den Sebastian Kurz. Der schafft es, die FPÖ rechts zu überholen, bekommt überwältigenden Beifall vonseiten der Stammtische und der Hasspostergemeinden, womit sein Überleben und das der ÖVP langfristig gesichert erscheint.
    Seriöse politische Arbeit zahlt sich kaum noch aus: Einem Trump läuft man nach, eine Merkel wird angefeindet. Warum sollte dann ausgerechnet unsere ÖVP noch eine Linie halten, Werte vertreten oder glaubwürdig für etwas stehen und für das Richtige werben?

    1. Beamte im Allgemeinen und Lehrer im Besonderen wählen sowieso überdurchschnittlich ÖVP – was man auch an den Gewerkschaftswahlen ablesen kann.
      Also kein Grund zur Aufregung.

  2. Vermutlich sind in Vorarlberg noch alle Schülerinnen und Schüler deutschsprechend…ups, Vorsicht …gleich bin ich in einem schrägen Licht…!! Aber nun ernsthaft im Klartext: wie stellen sich die Verantwortlichen die Zukunft das österreichischen Bildungswesen vor?? Wieviel Lehrer können wir uns pro Klasse leisten, die all die unterschiedlichen Sprachen weiterhin übersetzen? Wien wird diesbezüglich eine besondere Herausforderung werden. Abgesehen davon, wird es auch interessant, wie wir weiterhin Lehrinhalte vermitteln, ohne Niveauverlust.
    Ich habe das Gefühl hier schlafen viele Politiker und mir fehlt auch der Weitblick der Politiker. Wem wundert es da, das populistische Parteien im Vormarsch sind, auch wenn unsere österreichische Linie momentan eine Kehrtwendung macht?

    Alles sehr beunruhigend………….

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