Spitzenbolidiger

Stellen Sie sich vor, einer Ihrer Schüler (1) würde in einem Text das Wort „Bolidig“ schreiben und Sie könnten das, phantasiebegabt oder berufserfahren wie Sie sind, als „Politik“ erkennen. Sie würden es wohl korrigieren. Stellen Sie sich weiters vor, der Schüler würde mit fast manischer Hartnäckigkeit an seiner kreativen Schreibweise festhalten. Sie würden es wohl wieder und wieder ausbessern.

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Kurios wird die Situation, wenn der Schüler nach einiger Zeit beginnt, sich aufzuregen, und seine Eltern Sie beflegeln, weil Ihnen der Sohn nun doch schon wirklich oft genug mitgeteilt habe, es hieße „Bolidig“. Erzürnt bringen sie schließlich ein Schreiben zum Aushang, in dem sie feststellen, „Bolidig“ sei richtig. Jeder, der das Gegenteil behaupte, sei ein Betonierer, ein pädagogisches Fossil und unfähig, orthographische Regeln zu durchschauen. Man bitte aber – großzügig wie man ist – um Rückmeldung.

Das Ergebnis: 1.700 Schüler und Eltern geben das gewünschte Feedback – einzigartig in der Geschichte der Schule, da bei ähnlichen Umfragen sonst nur 30 bis 40 Rückmeldungen eintrudeln. Über 99 % klären die „Rechtschreiboriginellen“ darüber auf, dass es tatsächlich „Politik“ heißt, was diese aber nicht davon abhält, an ihrer Behauptung starrsinnig festzuhalten.

Wenn Sie meinen, das seien aber schon sehr eigenartige Menschen, dann kann ich Ihnen nur zustimmen. Leider könnte es sich dabei um einige österreichische „Spitzenbolidiger“ handeln.

Der Entwurf zu einem neuen Lehrerdienstrecht wurde ohne sozialpartnerschaftliche Einigung in Begutachtung geschickt. Dem entspricht seine Qualität. Über 99 % der 1.700 Stellungnahmen sind negativ, was Bundeskanzler Faymann und Bundesministerin Heinisch-Hosek nicht davon abhält, diesen „Schmarr’n“ (© Fritz Neugebauer) praktisch unverändert noch vor Weihnachten im Ministerrat durchboxen zu wollen. Nur „technische und kleine inhaltliche Anpassungen“ soll es geben. (2) Notfalls wolle man das Gesetz auch ohne Zustimmung der Gewerkschaft beschließen.

Paul Kimberger, Vorsitzender der APS-Gewerkschaft und der ARGE LehrerInnen in der GÖD, meinte dazu: „Was ich nicht nachvollziehen kann, sind Aussagen von Exbildungsministerin Claudia Schmied und Beamtenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (beide SPÖ). Zuerst wünschen sie sich Stellungnahmen, und dann sagen sie: „Jetzt sind sie uns eh wurscht.“ Dieses eigenartige Demokratieverständnis lehne ich ab.“ (3)

Ich wünsche mir Politiker, die Menschen und demokratische Instrumente respektieren. Solche Politiker verdienen es auch, dass man weiß, wie man sie schreibt.

(1) Personenbezogene Bezeichnungen umfassen gleichermaßen Personen männlichen und weiblichen Geschlechts.

(2) Bernhard Gaul und Karin Leitner, Heinisch will Dienstrecht mit ÖVP-Sanktus abschließen. In: Kurier online vom 23. Oktober 2013.

(3) Kimberger: „Dieses Demokratieverständnis lehne ich ab“. In: Standard online vom 23. Oktober 2013.

Bild lizenziert von BIGSTOCKPHOTO.


11 Gedanken zu “Spitzenbolidiger

  1. Die Frage ist nur: was tun wenn… Jedes weitere Widerstandsszenario ist dann doch die Wahl zwischen Pest und Cholera!

    Anmerkung Quin: Noch ist nicht aller Tage Abend…

  2. „Personenbezogene Bezeichnungen umfassen gleichermaßen Personen männlichen und weiblichen Geschlechts.“ Nein, tun sie nicht. Schüler sind Schüler, Schülerinnen sind Schülerinnen. Wie sie selbst wunderbar vorgeführt haben, wird aus ihrem „Schüler“, der großzügigerweise angeblich auch die Schülerinnen mit einschließt, ein paar Zeilen weiter schon ein „Sohn“. Und der ist ja nun wohl wirklich keine Tochter. Oder sind Sie in Ihrem Sprachgebrauch wirklich so kreativ? Und die anderen, die den Artikel lesen, sind ebenso interpretations-kreativ? Die Realität beeinflusst unseren Sprachgebrauch, und unser Sprachgebrauch beeinflusst die Realität. Das zeigen Sie uns, wenn Ihr „Schüler“ im Kopf eben doch nur ein „Sohn“ war.

    1. Ihre Sorgen möchte ich haben. Reden wir lieber von dem unglaublichen Anschlag auf das österreichische Bildungswesen und ihrer Träger: den Lehrerinnen und Lehrern in den Schulen. Das neue Lehrerdienstrecht ist einfach eine Zumutung und das geplante Gehaltsgesetz ebenfalls. Am ärgsten wird es die Kolleginen und Kollegen an den Abendgymnasien treffen, deren Umrechnungsschlüssel total gestrichen wurde. Die Gewerkschaft ist natürlich in einer Zwickmühle, weil sie sich für eine Klientel einsetzt, die es noch nicht wirklich gibt. Meine Empfehlung: jetzt einmal abwarten, was die Regierung wuirklich vorhat und dann entsprechend reagieren.

  3. Und wäre eine Tochter die hartnäckige Schülerin, die einen stereotypen Fehler zur neuen Regel erklärt, liefe die Situation nicht aufs Gleiche hinaus? Was soll diese unnötige Gender-Korrekturwut? Das lenkt doch nur vom eigentlichen Thema ab. Oder ist es etwa kein Zufall, dass im Verhandlungsteam der Regierung 3 Ministerinnen sitzen, die diesen Stumpfsinn zu verantworten haben????

  4. Gender hin oder her.
    Wenn die BolidigerInnnnnien das Gesetz durchboxen ist mir das Geschlecht vollkommen wurscht, weil dann gibt’s die Widerstand gegen den Gesetz auf die Strasse!

  5. Es steht jeder Person frei, aus meinen Zeilen das herauszulesen, was sie oder er für wichtig erachtet. Mir ging es jedenfalls um das Lehrerdienstrecht und den Umgang mancher PolitikerInnen mit demokratischen Instrumenten und nicht um gendergerechte Sprache. Ich möchte mich daher auch nicht dazu äußern, sondern nur auf zwei Artikel von Claudia Wirz in der NZZ hinweisen:
    Neusprech für Fortgeschrittene, http://www.nzz.ch/wissenschaft/bildung/neusprech-fuer-fortgeschrittene-1.18112623
    Sprache gehört nicht dem Staat, http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/sprache-gehoert-nicht-dem-staat-1.18113184

      1. Liebe Herren, die mein Kommentar anscheinend tief genug berührt hat, um mich auf seine Illegitimität hinzuweisen. Ich danke Ihnen für Ihre Beiträge. Besonders der Autor des Artikels, der dankenswerterweise sogar auf andere Artikel verlinkt hat, dürfte meine Kritik ernst genommen haben.

        Schauen Sie, Sprache ändert sich, und zwar ständig. Sie ist nicht statisch, auch wenn das vielen ein wohlig warmes Gefühl von Kontinuität und Verlässlichkeit geben würde. Trauen Sie sich mal ein Stückchen rein in die Sprachwissenschaft (mein Tipp: Soziolinguistik, historische Linguistik), dann lernen Sie vielleicht noch was dazu 😉

        Und, meine Herren – wenn Sie z.B. ein Problem mit den furchtbaren Zuständen in der Asylpolitik haben, können Sie gleichzeitig ein Problem mit der Art, wie darüber geschrieben wird (z.B. rassistisch, xenophob, …) haben. Sie erkennen, worauf ich hinaus will. Wenn man ein reflektierter Mensch ist, äußert sich das halt meistens damit, dass man mehr als 1 Sorge hat. Ich nehme an, Ihnen geht es da nicht anders 🙂

  6. Wozu dann die erste Fußnote, wenn der Inhalt derselben nicht wichtig gewesen wäre? Wurde etwa einfach nur irgendetwas geschrieben, damit Text zusammenkommt? Jedenfalls zeigte Manu Minoes, wie uns das grammatische Geschlecht doch wieder einen Streich spielt und die Schüler als Buben, Burschen und Söhne vorstellt.

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