„Ich habe mit Eltern gesprochen, bei denen die Kinder Rotz und Wasser geheult haben“, wurde die Elternbeiratsvorsitzende einer bayrischen Volksschule zitiert (1), als eine Klasse zu Schulbeginn aufgelöst werden musste. Es gab nicht genug LehrerInnen.
Ähnliche Szenen wird es wohl auch bei uns gegeben haben, denn der Lehrkräftemangel schlägt voll durch, nicht nur an Volks- und Mittelschulen.
Anstatt Kinder vor Verzweiflung über fehlende LehrerInnen heulen zu lassen, sollten die verantwortlichen BildungspolitikerInnen der letzten 20 Jahre in sich gehen und Tränen der Reue vergießen. Sie haben ein schleißiges Lehrerdienstrecht erdacht und gegen alle Warnungen durchgezogen. Sie haben die Ausbildung verlängert, ohne sie wertvoller werden zu lassen. Sie haben das Image unserer Berufsgruppe grob fahrlässig, wenn nicht vorsätzlich geschädigt. Sie haben über viele Jahre hinweg den Lehrkräftemangel von heute geradezu programmiert.
So setzt die Politik nun auf mehr Überstunden, weniger Teilzeitbeschäftigungen, die zusätzliche Belastung von Lehramtsstudierenden durch gleichzeitiges Unterrichten und QuereinsteigerInnen. Eine Dauerlösung ist das alles nicht.
Moderne Bildungssysteme stellen besonders hohe Anforderungen an ihre Lehrkräfte. Die sollte man mit einem adäquaten Status ausstatten, ihnen sollte man mit entsprechender Wertschätzung begegnen, um sie im System zu halten. Sagt die OECD. (2) Was sagt das Ministerium?
(1) Zit. n. Stephanie Uehlein und Barbara Schlotterer-Fuchs, Lehrermangel: Zerrissene Klassen und weinende Kinder. In: Merkur online vom 26. September 2022.
(2) Siehe OECD (Hrsg.), Teaching as a Knowledge Profession (2021), S. 148.
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Der Lehrermangel ist nicht die einzige Baustelle. Da gibt es etwa noch eine weitere, die schon seit Jahrzehnten existiert und damit zusammen hängt: den Lehrer-Überfluss.
In 40 Dienstjahren (+ aktuell 5 Jahren Pension) habe ich noch nie eine Statistik gesehen, in der alle (aktiven) AHS-Lehrer in Österreich mit ihren geprüften Fächern drinnen stehen. (Ich meine damit natürlich nicht namentlich, sondern z.B: „In Österreich gibt es dreitausend AHS-Lehrer mit dem Fach Geschichte“). Dazu dann die Anzahl der verfügbaren Stunden: „In Österreich fallen an AHS jedes Jahr insgesamt X Stunden Geschichte in den Lehrfächerverteilungen an“.
In der Verknüpfung kommt dann die entscheidende Zahl heraus: „Auf jeden Geschichte-Lehrer entfallen X zu haltende Stunden“. So könnte etwa ein Studienanfänger auf einen Blick sehen, welche Chancen ein (Jung)lehrer hat, überhaupt Stunden für sein Fach zu finden, und wo Mangel herrscht.
Ich spreche aus eigener Erfahrung: An meiner AHS gab es insgesamt vier Klassen Französisch (je eine pro Oberstufen-Klasse), aber fünf RomanistInnen. Also habe ich die letzten 20 Jahre nur mehr Englisch unterrichtet. Mit Französisch und Geschichte wäre ich wahrscheinlich überhaupt arbeitslos gewesen, oder ich hätte an drei Schulen parallel unterrichten müssen.
Zur letzten Schulreform ein paar unangenehme Wahrheiten: Eine wirkliche Reform, die diesen Namen auch verdient, kann nur gelingen, wenn außer Streit steht:
1. Es gibt begabte und weniger begabte Kinder. Darauf ist bei der Schulwahl Bedacht zu nehmen.
2. Es kann nur um Chancengleichheit gehen, niemals um Ergebnisgleichheit.
3. Das Leistungsprinzip, eingebettet in einen pädagogischen Kontext, muss wieder Vorrang haben.
4. Funktionale, nicht ritualisierte Disziplin bekommt wieder den Stellenwert, der für geordneten Unterricht unumgänglich ist. Bei Fehlverhalten muss es Konsequenzen geben.
5. Die Schule ist maßlos überfordert, wenn sie alle gesellschaftlichen Defizite ausbügeln soll.
6. Profunde Sachkenntnisse und methodisches Geschick bei den Lehrern sind keine Gegensätze.
7. Sofortige Aussetzung der neuen Lehrerausbildung und zurück an den Start. Weg mit der Nivellierung nach unten und weg mit der auch vorhandenen Überqualifikation. Verschiedene Schulformen brauchen unterschiedlich ausgebildete Lehrer durchaus auf Universitätsebene, aber mit unterschiedlichem fachlichen Anforderungsprinzip, und daher unterschiedlich langer Ausbildungszeit. Auch muss die Bezahlung diese Tatsachen reflektieren. Daher: Weg mit dem neuen Gehaltsgesetz und daher auch hier: Zurück an den Start.
8. Schule muss sich neuen gesellschaftlichen Herausforderungen stellen.
Sie muss sich dem Leben öffnen und offen für Neues sein. Sie darf aber nicht dem Zeitgeist hinterher hecheln, sonst hört die Schule auf Schule zu sein.
9. Was ist Schule? Der, der es weiß, sagt es dem, der es nicht weiß.
10.Warum Bildung? Wer nichts weiß, muss alles glauben.
FH Hon. Prof. Mag. Dr. Detlef Schaffer, LSI i. R. 2022