Gerhard Riegler: Versöhnung von Politik und Wissenschaft

Eine Wirkung der Ganztagsschule auf die Kompetenzen von Schülern ließ sich bisher nicht nachweisen, auch nicht bei Kindern aus sozial schwachen Familien.“ (Univ.-Prof. DDr. Eckhard Klieme) (1)

Die Schüler/innen der Ganztagsschulen erhalten auch genauso häufig wie die Halbtagsschüler/innen privat finanzierten Nachhilfeunterricht.“ (Univ.-Prof. Dr. Dagmar Killus) (2)

Bei der Ganztagsschule sind noch keine belastbar positiven Effekte zur Senkung des externen Nachhilfebedarfs erkennbar. So benötigen jene Eltern, die ihr Kind bzw. ihre Kinder ausschließlich in der Ganztagsschule haben, immer noch in 23 Prozent der Fälle eine Nachhilfe – davon 18 Prozent eine bezahlte.“ (Univ.-Prof. Dr. Klaus Birkelbach) (3)

… weniger Nachhilfe wird es dadurch nicht geben, wie sich in Ländern zeigt, in denen der Anteil an Ganztagsschulen hoch ist. Da geben Eltern weitaus mehr für Nachhilfe aus.“ (Univ.-Prof. Dr. Stefan Hopmann) (4)

Wer die ‚Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen‘ (StEG) vom Klieme, Holtappels, Rauschenbach und Stecher genau liest, stellt fest, dass es weder Beweise dafür gibt, dass in einer Ganztagsschule Kinder besser lernen, noch Kinder aus bildungsfernen Milieus besser gefördert werden und somit auf Kinder aus bildungsnahen Milieus aufschließen können.“ (Univ.-Prof. Dr. Klaus Zierer) (5)

Ein/e Schüler/in, der/die in eine Schule mit Nachmittagsbetreuung geht, erreicht eine um rund 16 Punkte schlechtere Leistung in Mathematik, als ein/e Schüler/in mit der gleichen Merkmalskombination, der/die jedoch eine Schule ohne Nachmittagsbetreuung besucht.“ (Mag. Dr. Christoph Helm) (6)

Es gibt keine empirischen Belege dafür, dass die gebundene Ganztagsschule für die Leistung oder das Sozialverhalten der Schüler besser ist als die offene.“ (Univ.-Prof. Dr. Natalie Fischer) (7)

Wir können nicht bestätigen, dass ein Ganztagsangebot zum Abbau von sozialen Unterschieden oder einer Verbesserung der Leistung führen würde.“ (Univ.-Prof. Dr. Kai Maaz) (8)

In TIMSS 2015 konnte jedoch gezeigt werden, dass Kinder, die schulische Ganztagsangebote nutzen, nicht weniger Nachhilfeunterricht erhalten als Kinder, die an keinem schulischen Ganztagsangebot teilnehmen.“ (Univ.-Prof. Dr. Wilfried Bos) (9)

Die Ergebnisse unserer Mehrebenenanalysen lassen sich so zusammenfassen, dass wir an Ganztagsschulen weder ein höheres Leistungsniveau, noch eine Reduktion von Bildungsungleichheiten beobachten.“ (Dr. Rolf Strietholt) (10)

In einem Entschließungsantrag, der im Dezember 2018 im Unterrichtsausschuss behandelt wurde, erfahre ich aber, „dass der Besuch einer Ganztagsschule die Lernergebnisse verbessert, [sic!] und die Kosten für Nachhilfe deutlich senkt.“ (11) Eingebracht wurde und gezeichnet ist dieser Antrag u. a. von Österreichs ehemaliger Unterrichtministerin Dr.in Sonja Hammerschmid.

Höchste Zeit, dass eine Schulpolitik wider bildungswissenschaftliche Evidenz endlich auch in Österreich der Vergangenheit angehört. Die zehn oben angeführten Zitate und viele mehr hätte Frau NR-Abg. Dr.in Sonja Hammerschmid übrigens auf www.bildungswissenschaft.at nachlesen können.

(1) Eckhard Klieme, Alles schräg. In: Die Zeit online vom 7. Februar 2018.

(2) Dagmar Killus u. a., Eltern ziehen Bilanz. 2. JAKO-O Bildungsstudie (2012), S. 35.

(3) Klaus Birkelbach u. a., Außerschulische Nachhilfe (2017), S. 40.

(4) Zit. n. Was die Ganztagsschule bringt und was nicht. In: Kurier online vom 10. September 2016.

(5) Klaus Zierer, Gerechte Ungleichheit? In: Zierer u. a., Die pädagogische Mitte (2016), S. 192.

(6) Christoph Helm u. a., Effekte der NMS-Konzeptmerkmale auf die fachlichen Schülerleistungen. In: Eder u. a., Evaluation der Neuen Mittelschule (NMS). Befunde aus den Anfangskohorten. (2015), S. 294.

(7) Zit. n. Marlene Weiß, Grabenkampf um die Ganztagsschule. In: Süddeutsche Zeitung online vom 6. November 2013.

(8) Zit. n. Ricarda Breyton, Ende der Hauptschule bringt sozial Schwachen wenig. In: Die Welt online vom 23. Juni 2018.

(9) Wilfried Bos u. a., TIMSS 2015: Wichtige Ergebnisse im Überblick. In: Wendt u. a., TIMSS 2015. Mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen von Grundschulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich (2016), S. 21.

(10) Rolf Strietholt u. a., Bildung und Bildungsungleichheit an Halb- und Ganztagsschulen. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 2015, 18, S. 737.

(11) Entschließungsantrag der Abgeordneten Andreas Schieder, Sonja Hammerschmid, Genossinnen und Genossen betreffend Schulstartpaket vom 26. September 2018.

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3 Gedanken zu “Gerhard Riegler: Versöhnung von Politik und Wissenschaft

  1. Wenn sich jemand Essen auf Rädern bestellt, dann erwartet er nicht, dass diese Verpflegung einen höheren Vitamingehalt aufweist als das, was er bisher gewohnt war. Es wäre auch illusorisch, auf mehr Schmackhaftigkeit zu hoffen. Dass nur österreichische Erzeugnisse verwendet werden, ist ebenfalls unrealistisch. Bessere Verdaulichkeit? Kaum. Berücksichtigung persönlicher Vorlieben (Knoblauch) und Abneigungen (Zwiebel)? Wie denn? Wer käme wohl auf den Gedanken, an Essen auf Rädern die Maßstäbe eines Gourmetrestaurants anzulegen – wenn man Würstelstand-Preise dafür bezahlt?

    Essen auf Rädern nimmt man sich dann, wenn es anders nicht (mehr) geht. In eine Ganztagsschule schickt man sein Kind, wenn man dessen Nachmittagsbetreuung selber nicht hinkriegt – zum Beispiel aus beruflichen Gründen. Für das (Wenige), was man dafür extra bezahlt, kann man sich keine Nanny-Betreuung in den Freistunden / Lernstunden erwarten, und daher auch keinen gewaltigen zusätzlichen Lerneffekt.

  2. Guten Tag!

    Die zitierten wissenschaftlichen Ergebnisse sind ja beeindruckend und stelle ich nicht infrage, aber warum ist das so?? Der gesunde Menschenverstand würde einem doch sagen, dass gerade sozial benachteiligte Kinder, die schulisch und lernmäßig auf sich gestellt sind, von Nachmittagsbetreuung durch Pädagogen und/oder Ganztagsschulen anstatt zuhause irgendwas zu machen, profitieren würden…

    lg martin ebenhöh

    1. Herr Riegler ist von des Gedankens Blässe der gesellschaftspolitischen Notwendigkeit einer Ganztagsschule einfach nicht angekränkelt. Was soll man dazu noch sagen?

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