Gerhard Riegler: Genug der Ehre

Soll ich mich am Beginn des Schuljahres mit einem „Experten“ auseinandersetzen, der vor wenigen Tagen gefordert hat, die Mitwirkungsrechte der Lehrervertretung im Schulwesen auf ein Minimum zu reduzieren? (1) Oder ist für ihn die Erwähnung in den Fußnoten der Ehre genug?

Child holding a thank you sign standing against white background

Soll ich in Erinnerung rufen, dass dieser „Experte“ vor einem Jahr davon geschwärmt hat, dass in der Privatwirtschaft DienstgeberInnen über „eine schlagkräftige Organisation“ verfügen, der die DienstnehmerInnen kaum etwas Gleichwertiges entgegensetzen können, und darüber geklagt hat, dass im österreichischen Schulwesen „die Situation hier offensichtlich umgekehrt gestaltet“ sei. (2) Oder ist für ihn die Erwähnung in den Fußnoten der Ehre genug?

Soll ich mich mit Aussagen von PolitikerInnen befassen, die diese nach der Präsentation der aktuellen Ausgabe der OECD-Studie „Education at a Glance“ getätigt haben? Oder verdienen Menschen, die Studien kommentieren, die sie ganz offensichtlich nicht gelesen haben, nicht einmal eine Erwähnung in den Fußnoten?

Ich will es mit Eckehard Quin halten: „Ich muss nicht zu jedem Schwachsinn etwas sagen.“ (3) Ich will stattdessen grundlegende Ergebnisse der OECD-Studie skizzieren, die über 500 Seiten umfasst, zu denen noch hunderte Tabellen hinzukommen, die nur online präsentiert werden:

Österreich gehört zu den Staaten, in denen

  • die wenigsten jungen Menschen als SchulabbrecherInnen das Schulwesen verlassen,
  • SchülerInnen vergleichsweise jung den Abschluss der Sekundarstufe II erreichen und
  • die meisten jungen Menschen, von denen kein Elternteil einen erfolgreichen Abschluss der Sekundarstufe II erreicht hat, diesen so wichtigen Bildungsabschluss schaffen. Da in Österreich jahrzehntelang Integrationspolitik verabsäumt wurde, gelingt Menschen mit Migrationshintergrund der Bildungsaufstieg leider weit seltener.

Österreichs Schulwesen ist im internationalen Vergleich erfolgreich, obwohl uns weit weniger Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, als uns zustünden. Auch „Education at a Glance 2016“ belegt diese gravierende Unterfinanzierung: 3,2 % des Bruttoinlandsprodukts fließen in unserem Land ins Schulwesen, 3,8 % sind es im OECD-Mittel, nicht weniger als 4,8 % in Großbritannien. (4) Im OECD-Mittel ist der BIP-Anteil für das Schulwesen in den letzten beiden Jahrzehnten leicht gewachsen, in Österreich wurde er von „Reform“ zu „Reform“ verkleinert – in Summe um nicht weniger als ein Viertel! 0,6 % des BIP, die unserem Schulwesen für eine lediglich mittelmäßige Ressourcenausstattung fehlen, bedeuten zwei Milliarden Euro jährlich!

Unterstützt wurde die Politik des Sparens auf Kosten der Bildung von „ExpertInnen“ und ihrer zweifach irrwitzigen Parole, Österreich habe ein leistungsschwaches, aber teures Schulsystem.

Österreichs Schulwesen und seinen LehrerInnen, die unter schwierigsten Rahmenbedingungen Hervorragendes leisten, kann nicht genug der Ehre widerfahren. Sie verdienen maximale Unterstützung. Der in die Fußnote verbannte „Experte“ aber verdient die scharfe Kritik des Jugendsoziologen Mag. Bernhard Heinzlmaier, die soeben auf meinem Bildschirm gelandet ist: „Heute erscheint Arroganz, Dünkel und Überheblichkeit in Kombination mit dem zügellosen Einsatz von Manipulation und parteilicher Demagogie zum gesamtgesellschaftlichen Phänomen geworden zu sein.

(1) Siehe Petra Stuiber, Experte will Schulreform mit Lehrern, aber ohne Gewerkschaft. In: Standard online vom 20. September 2016.

(2) Lorenz Lassnigg, Politics – Policy – Practice. Eckpunkte einer sinnvollen Weiterentwicklung des Schulwesens (2015), S. 45.

(3) Zit. n. Lisa Kogelnik, Lehrergewerkschaft wehrt sich. In: Standard online vom 21. September 2016.

(4) Siehe OECD (Hrsg.), Education at a Glance 2016 (2016), Figure B2.2.

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4 Gedanken zu “Gerhard Riegler: Genug der Ehre

  1. „Mitwirkungsrechte der Lehrervertretung im Schulwesen“:

    Ein Lehramtsstudent in NÖ schließt im Juli 2016 sein Studium ab und begibt sich frohgemut zum Landesschulrat: er möchte sich fürs Probejahr anmelden.
    2016-17 wird’s leider nichts werden, bekommt er dort zu hören (und für 2017-18 gibt es auch keine Garantie). Das Problem sei nämlich, dass es in seinen beiden Fächern zu wenige einführende Lehrer gibt, welche die dafür nötige Ausbildung gemacht haben.
    So beginnt das Berufsleben des Neo-Pädagogen mit einem Schlag in die Magengrube: die Ausbildung zum „zertifizierten“ Einführungslehrer ist ja bekanntlich freiwillig, und da haben sich halt zu wenige gemeldet. Pech gehabt. Das Versagen des Systems bei der Organisation des Probejahres geht auf dem Rücken der Schwächsten aus.
    Sein finanzieller Verlust scheint vordergründig irgendwo bei netto € 20.000 zu liegen, ist aber mathematisch mit dem Salär des letzten (!) Dienstjahres anzusetzen, also über € 40.000: Wenn ihm am Ende bei der Abrechnung ein Jahr fehlt (z.B. beim Pensionsantritt), dann muss er das hinten anhängen und nicht vorne. (Wer das nicht glaubt, der stelle sich einen einfachen Vergleich vor – den der Lebensverdienstsumme eines Lehrers mit 40 Dienstjahren mit der Lebensverdienstsumme eines Lehrers mit 41 Dienstjahren: alles klar?)
    Aber auch das Schulsystem erleidet einen Verlust: aus einem tatendurstiger Junglehrer wird nach (mindestens) einem Jahr erzwungenen Däumchendrehens – ja was?
    Wenn von „Mitwirkungsrechte(n) der Lehrervertretung im Schulwesen“ die Rede ist, wie sieht es dann mit der anderen Seite der Medaille aus: mit der Mitverantwortung?

    1. Hier liegt offenbar der Unwille des LSRs vor, denn auch ein erfahrener Kollege darf diese Einführung übernehmen. Dass es zu wenig neue freiwillige Einführende (bei gleichzeitigen Pensionierungen) gibt, könnte an der Tatsache liegen, dass sie mit der in der neuen Lehrerausbildung vorgesehen Mentorensituation (gleichzeitige Betreuung von bis zu 5 Jungkollegen völlig unterschiedlicher Fächer zu der sie dann im Laufe der Zeit zwangsverpflichtet werden) liegen.

  2. Ich stimme Ihnen großteils zu, allerdings muß die Schulpolitik liberaler werden, d.h. U.a. die Wahlfreiheit bei der Einstellung von Lehrkräften gewährleistet sein

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