Gerhard Riegler: SchulabbrecherInnen

Das englische Schulwesen steht vor einem Szenario, das es in seiner Existenz bedroht, sofern man nicht von einer Schule träumt, die SchülerInnen mit digitalisierten Lernprogrammen anstelle von Unterricht abspeist. Nach einem kürzlich im „The Guardian“ erschienenen Bericht (1) denkt nämlich mehr als die Hälfte der englischen LehrerInnen ernsthaft darüber nach, in den nächsten zwei Jahren der pädagogischen Profession endgültig den Rücken zu kehren.

Stressed female teenager worried about exams

Für 61 Prozent der Befragten ist das Arbeitsvolumen der Hauptgrund für den angestrebten Berufswechsel, 57 Prozent suchen nach einer besseren Work-Life-Balance. Fast drei Viertel der englischen Lehrerschaft empfinden sich durch die Entwicklung hin zu standardisierter Schule und genormtem Unterricht in ihrem pädagogischen Wirken behindert: „… current policies for the school curriculum and pupil assessment are narrow and uncreative“. (2)

Wer meint, dass es sich bei dieser Entwicklung um ein ausschließlich englisches Phänomen handelt, wird von einem Blick in andere Staaten schnell eines Besseren belehrt. Hier ein paar Beispiele:

  • Australien: „Forty per cent of new teachers in Australia leave the profession in the first five years.“ (3)
  • USA: „46 % of new teachers leave their job in the first five years of service.“ (4)
  • Schweiz: „17,1 Prozent der Lehrpersonen stiegen zwischen den Jahren 2010 und 2011 noch im ersten Berufsjahr aus. So steht es in einem kürzlich publizierten Bericht des Bundesamtes für Statistik (BfS). Gemäss diesen Berechnungen verlassen rund 49 Prozent der neuen Lehrkräfte die Schule innerhalb von fünf Jahren nach Stellenantritt wieder.“ (5)

Glauben Österreichs „BildungsexpertInnen“, dass die LehrerInnen hierzulande mit unbegrenzter Geduld und Leidensfähigkeit ausgestattet sind? Die Politik wäre gut beraten, würde sie endlich denen Gehör und Aufmerksamkeit schenken, die als PädagogInnen für ihre SchülerInnen beruflich ihr Bestes geben, an den Rahmenbedingungen aber immer öfter verzweifeln.

Österreichs LehrerInnen haben es geschafft, dass in unserem Bildungssystem so wenige junge Menschen ihre Schullaufbahn vorzeitig beenden, wie dies in nur wenigen Staaten gelingt. Von Österreichs Schulpolitik fordere ich Professionalität statt Arroganz, damit nicht auch unter Österreichs LehrerInnen der Anteil derer explodiert, die ihre Profession an den Nagel hängen, um vorzeitig aus dem Schulwesen zu scheiden.

(1) Daniel Boffey, Half of all teachers in England threaten to quit as morale crashes. In: The Guardian online vom 4. Oktober 2015.

(2) a.a.O.

(3) Lisa F. Paris, Reciprocal Mentoring: Can it Help Prevent Attrition for Beginning Teachers? In: Australian Journal of Teacher Education, Vol. 38 (2013), S. 136-158, hier S. 136.

(4) Thierry Karsenti and Simon Collin, Why are New Teachers Leaving the Profession? Results of a Canada-Wide Survey. In: International Journal of Education, Vol. 3, No. 3 (2013), S. 141-149, hier S. 143.

(5) Katharina Bracher, Jeder zweite Lehrer steigt nach fünf Jahren aus. In: Neue Zürcher Zeitung online vom 6. April 2014.

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6 Gedanken zu “Gerhard Riegler: SchulabbrecherInnen

  1. Endlich wird diese bedrohliche Entwicklung wahrgenommen. Wer aber meint, dass es sich hier nur um ein Phänomen handelt, das auf Junglehrer beschränkt ist, irrt gewaltig. Gerade ältere Lehrkräfte, die viele entbehrungsreiche Jahre hinter sich haben, in denen sie – trotz sogenanntem „Lehrerbashing“ – an der Zukunft der ihnen anvertrauten jungen Menschen mit hohem Einsatz gewirkt haben, sehen in diesem Standardisierungswahn keine Sinnhaftigkeit ihres weiteren Wirkens. Eine Lehrperson muss eigenverantwortlich agieren und motivieren können, um nicht zu einem Lerncoach zu verkommen, der Schülergenerationen nur noch auf bestimmte Formate trimmt.

  2. Mir wird nicht ganz klar, was uns Herr Riegler sagen will.
    Ich behaupte, dass in österreichischen Höheren Schulen, vor allem in den AHS, mindestens 40% der Lehrer sofort aus dem Beruf gehen würden, wenn sie eine Alternative hätten. Das hat vielfältige Ursachen, hauptsächlich ist es darauf zurückzuführen, dass Studierende für das Lehramt mit ganz falschen Vorstellungen in diesen Beruf taumeln und von der Realität geradezu erschlagen werden:
    die Kinder sind nicht so, wie man erwartet; die Eltern wagen es mitzureden;
    sie können zwar ihr Fach, können aber mit Kindern nicht umgehen.
    Ich habe zu oft von AHS-Lehrern gehört: ich hasse Kinder!!! Wer Kinder nicht liebt, sollte sofort aus dem Beruf und die Zahlen, die Herr Riegler zitiert, halte ich für ein Hoffnungszeichen.
    mfg
    g.ettl

    1. Mit wird nicht ganz klar, was uns Herr Ettl sagen will – LehrerInnen, die aus ihrem Beruf ausscheiden wollen – ein Hoffnungszeichen? Die Idee ist doch ziemlich krank.
      Jeder (!) Schulabbrecher (ob SchülerIn oder LehrerIn) ist einer zu viel.
      Und hier wie da ist das Aus je schlimmer desto später.
      Denn weder beschränkt sich das „Aussteigerproblem“ auf junge LehrerInnen noch auf LehrerInnen der AHS.
      Wer einmal in einer Brennpunkt-Mittelschule oder einer Handelsschule im städtischen Bereich seinen Dienst (!) verrichtet, oder mit den dortigen KollegInnen gesprochen hat, weiß Anderes. Und unsere mit der Gesamtschule täglich persönlich konfrontierten VolksschullehrerInnen berichten gleichermaßen von Überforderung durch Dokumentations-, Standardisierungs- und Kontrollwahnsinn. (Nicht anders im Übrigen als Pflegekräfte, die vor lauter Vorschriften und Dokumentation nicht mehr zum Pflegen kommen usw.)
      LehrerInnen mit 30 und mehr DIenstjahren berichten von unzumutbaren Entwicklungen – für SchülerInnen und deren Eltern – und daher auch gerade für die LehrerInnen, die mit Herzblut bei der Sache sind.

      Wer Kinder liebt, sollte – wie Herr Riegler – gegen diese Entwicklungen aufstehen.

      1. Ja, ich bin ganz überzeugt davon, dass Lehrer, die mit Krampf unterrichten, aus der Schule gehen sollten Ob sie draufkommen, dass Unterrichten nicht das Richtige für sie ist oder sich einfach überfordert fühlen von 25 Pubertierenden oder was auch immer… Wer einmal im Schuldienst gelandet ist, hat kaum jemals die Kraft, auszusteigen…. Und das ist nicht gut. Das Geseiere über Vorschriften und Dokumentationen kann ich schon nicht mehr hören. Welcher Lehrer ist schon ernsthaft diszipliniert worden, weil er nicht jeden Blödsinn von Schulbehörden mitmcht. Der Vergleich mit Pflegeberufen ist erhellend!

  3. Schau, schau! Da bin ich ja in zahlreicher Gesellschaft!! Allerdings hab ich erst nach 35 Berufsjahren das Handtuch geworfen.

    Sind seit gestern nach drei herrlichen Tagen in der südsteirischen Toskana wieder im Land. Kam dank Renates und Alfreds Anwesenheit auch zu wunderschönen Wanderungen quer durch die Weingärten. Am Samstag wäre wettermäßig der schönste Tag gewesen, aber da mussten wir bereits wieder zurück, weil der Herr Präsident in Wien am Getreidemarkt eine Ehrung vorzunehmen hatte. 😥 Naja, man soll nicht unbescheiden sein.

    Mittwoch um eins / halbzwei bei dir oder fahren wir Richtung Dunkelsteinerwald?

    LG, Martha

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