Zynisch?

Mitte Mai wurden die Ergebnisse der PIRLS-Studie 2021 präsentiert, die international vergleichbare Daten darüber liefert, welche Lesekompetenzen und Einstellungen zum Lesen Schüler:innen auf der 4. Schulstufe haben. An der Studie beteiligten sich weltweit 65 Länder (darunter 23 EU-Länder). (1)

Die Aufregung in Österreich hielt sich in Grenzen, da sich die Ergebnisse im Vergleich zur letzten Erhebung 2016 zwar verschlechtert haben, Österreich mit 530 Punkten aber noch über dem internationalen und dem EU-Durchschnitt liegt. (2) Allerdings gibt es schon einige besorgniserregende Befunde, die dringenden politischen Handlungsbedarf aufzeigen:

  • In allen teilnehmenden EU-Ländern geht ein höherer sozioökonomischer Status der Eltern mit signifikant besseren Leseleistungen der Kinder einher. In Österreich ist dieser jedoch besonders hoch. Wir liegen vor Ungarn und Bulgarien hier an drittletzter Stelle. (3)
  • Kinder, die eine nicht-deutsche Umgangssprache sprechen, weisen am Ende der Volksschule einen im internationalen Vergleich sehr hohen durchschnittlichen Lesekompetenzrückstand von 48 Punkten auf, was einem Rückstand von zumindest eineinhalb Jahren entspricht. (4) In Österreichs PIRLS-Sample waren davon 25 % der Schüler:innen betroffen. Tatsächlich sind es laut Statistik Austria (Stand 2021/22) österreichweit 31 %, in Wien sogar 59 %.

Diese Misere kann man sicher nicht den Volksschullehrer:innen anlasten. Schuld sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, auf die die Politik seit Jahrzehnten nicht adäquat reagiert. Wie man allerdings angesichts solcher Ergebnisse am Ende der Gesamtschule Volksschule neuerlich eine gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen fordern kann (5), ist mir völlig unverständlich. Aber vielleicht bin ich auch nur Zyniker, denn wie drückte es Oscar Wilde aus: „Cynicism is merely the art of seeing things as they are instead of as they ought to be.

(1) Siehe die Website des IQS.

(2) Siehe Elisa Tomaselli, „Pirls“-Studie: Jedes fünfte Kind in Österreich hat Probleme beim Lesen. In: Standard online vom 16. Mai 2023.

(3) Vgl. IQS (Hrsg.), PIRLS 2021. Die Lesekompetenz am Ende der Volksschule. Erste Ergebnisse (2023), S. 40.

(4) Vgl. a.a.O, S. 45.

(5) Siehe etwa Schulversuch in Lustenau: Schulen reagieren abwartend. In: ORF online vom 23. Mai 2023.

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Ein Gedanke zu “Zynisch?

  1. Gerne würde ich in diesem Zusammenhang eine bestimmte Statistik sehen:

    Wie gut in ihren Deutsch-Kenntnissen sind sechsjährige Kinder (VOR Beginn des Volksschulunterrichts) mit nicht-deutscher Umgangssprache, die nur ein einziges Jahr Kindergarten besucht haben, im Vergleich mit solchen, die a) zwei Jahre und b) drei Jahre im Kindergarten waren?
    In anderen Worten: Wirkt sich die Länge des Kindergarten-Besuchs messbar auf die Sprachkompetenz in Deutsch aus?

    Damit könnte man wenigstens EINEN Faktor näher bestimmen, der dann später auf die in der Volksschule erzielten (oder nicht erzielten) sprachlichen Leistungen ausstrahlt.

    Beim sozio-ökonomischen Status habe ich meine Zweifel an der Aussagekraft der Studien.
    Was wohl herauskäme, wenn man stattdessen das religiöse Engagement der Eltern untersuchte (regelmäßiger Kirchen- oder Moscheebesuch)? Würde man dann womöglich sagen, Eltern, die regelmäßig die Maiandacht besuchen oder den Ramadan streng observieren, vererben ihren Kindern gute (oder schlechte?) Noten in Deutsch?

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