„Lesen, ordnen, fordern“ lautete der Titel eines im „Spiegel“ erschienenen Artikels, der mich sehr angesprochen hat. (1) Schulleiter Christian Gronwald zeigt darin Wege auf, wie Kindern aus sozioökonomisch schwachen Familien geholfen werden kann – abseits zahlreicher Dogmen, die nicht nur Deutschlands Schulpolitik in den letzten Jahrzehnten geprägt haben. Es wäre zu wünschen, dass auch wir in Österreich nach Wegen zum Erfolg suchen und sie finden, statt weiterhin Fehler zu reproduzieren, die in anderen Ländern kreiert wurden.
Christian Gronwald bezeichnet in seinem Artikel das Lesen zu Recht als Basis jeden Lernens und verweist auf eine Tatsache, die mir nicht nur als Mathematiker aus der Seele spricht, nämlich dass sich das Lesetraining unter anderem auch positiv auf die Leistungen in der Mathematik auswirkt. Zu diesem Ergebnis kommen auch zahlreiche internationale Studien. Zum Beispiel: „Für das Fach Mathematik beispielsweise konnte die bedeutende Rolle der sprachlichen Kompetenzen in verschiedenen Längsschnittstudien gezeigt werden […]. So zeigte sich etwa, dass bereits die sprachlichen Kompetenzen von 7-jährigen Kindern eine Vorhersage der Schulnoten erlauben, die sie drei Jahre später erhalten – und zwar nicht nur im Fach Deutsch, sondern auch in Mathematik und Sachkunde […].“ (2)
Lernen sollten wir auch in Österreich, Inhalte und Erkenntnisse, die sich seit Jahrhunderten bewährt haben, nicht vorschnell über Bord zu werfen oder zu vergessen. Schule weiterzuentwickeln ist für mich notwendig und wichtig, dabei darf aber auf die solide Basis nicht vergessen werden. Z. B. sollten wir in der Euphorie rund um die Einführung des Fachs Digitale Grundbildung, zu dem ich selbstverständlich und mit Überzeugung stehe, nicht das Kind mit dem Bad ausschütten und in unserem Unterricht nur mehr auf digitale Medien setzen. Es wäre ein großer Irrtum zu glauben, dass das Lesen in der Schule überholt ist, da die Kinder und Jugendlichen in Chats etc. ja ohnehin ständig lesen. Es wäre fatal zu glauben, es liege an der Unfähigkeit von LehrerInnen, wenn sie in ihrem Unterricht digitale Medien nur in einem geringen Ausmaß oder gar nicht einsetzen. Das Lesen von Büchern verdient weiterhin einen hohen Stellenwert. Freuen wir uns mit den Kindern und Jugendlichen, denen durch das Lesen neue Welten und gute Bildungschancen eröffnet werden.
(1) Der Spiegel, Nr. 21 vom 23 Mai 2022, S. 42f.
(2) Miriam Vock und Anna Gronostaj, Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht (2017), S. 26.
Bild von Gerhard Riegler.
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