Gerhard Riegler: „To bee or not to bee“

Man muss kein Germanist sein, um über die „Eigenständigkeit“ mancher SchülerInnen im Bereich der Rechtschreibung immer wieder ins Staunen zu geraten. „Schreibvarianten“, wie Fehler heutzutage euphemistisch genannt werden, emanzipieren sich immer weiter vom Wörterbuch. Aus gut informierten Kreisen vernehme ich, dass eine korrekte Orthographie bei der künftigen Zentralmatura in Deutsch ohnehin nur mehr eine periphere Rolle bei der Beurteilung spielen soll. Ein Schelm, wer denkt, dies sei die Flucht nach vorne.

bigstock-Be-happy-vector-illustration-41153680_blogAnglistInnen müssen ihre SchülerInnen dagegen weit stärker zu korrekter Rechtschreibung anhalten. Ist die Ambivalenz der Bewertung derselben Kompetenz auf eine unterschiedliche Wertigkeit der beiden Sprachen zurückzuführen oder nur auf unterschiedliche Kompetenzzentren am BIFIE?

Die aktuellen Englisch-Klausuren lösten auch bei Zentralmatura-VeteranInnen Kopfschütteln aus. Ich erlaube mir, Ihnen zur Illustration einen selbstgestrickten Multiple-Choice Test eines befreundeten Anglisten vorzulegen, an dem ich kläglich gescheitert bin. Welche der folgenden fehlerhaften Schreibvarianten war bei der aktuellen Matura als richtig zu bewerten:

A: trough (statt „through“)
B: theirself (statt „themselves“)
C: defand (statt „defend“)
D: fullfill (statt „fulfill“)

Für mich wären A und B ganz klare „Falschvarianten”, da A „Trog” bedeutet und B gar nicht existiert. Vor die Wahl zwischen C und D gestellt, entschied ich mich für D als geringfügigsten Fehler. Damit hatte ich aber auf allen Linien versagt: Während A, B und C als richtig zu bewerten waren, durfte D bei der heurigen Klausur nicht toleriert werden. Letzteres kam nämlich dummerweise in einem Testformat vor, in dem eine korrekte Orthographie „conditio sine qua non“ für die Punktevergabe war, während bei den anderen – so urteilten die „ExpertInnen“ – durch die Falschschreibung die Kommunikation nicht „verhindert“ würde.

Doch drei Tage nach der Klausur landete ein Mail des BIFIE zur Weitergabe an die AnglistInnen in den Direktionen. Wer auf Nachsicht bei „fullfill“ tippte, täuschte sich. Es ging um etwas anderes: Bei einem Testformat mussten die Kandidaten nicht nur ankreuzen, ob eine Aussage richtig oder falsch war, sondern auch die ersten vier Wörter des Satzes zitieren, dessen Inhalt sie zu ihrer Entscheidung veranlasst hat: „Angesichts der Tatsache, dass dieses Testformat heuer erstmals bei der Reifeprüfung zum Einsatz kommt, empfiehlt das BIFIE im Sinne der Kandidat/innen, ausnahmsweise auch Abweichungen von der Regel der ersten vier Wörter zu akzeptieren, wenn die Antwort korrekt ist und zweifelsfrei zu erkennen ist, dass auf den die Entscheidung begründenden Satz Bezug genommen wurde.“ (1)

Wo Hoffnung aufkam, dieses Ausmaß an Flexibilität könnte auch künftig gelten, wurde sie vom Nachsatz im Keim erstickt: „Gleichzeitig ersucht das BIFIE dringend darum, künftigen Kandidaten die Regelung mit den ersten vier Wörtern nahezubringen und solche Verstöße in Zukunft nicht mehr zu tolerieren. Auch das Einhalten formaler Regeln gehört zu den standardisierten Prüfungsbedingungen.“ (2)

Wurde uns von BM Schmied nicht seit Jahren versichert, dass „teaching to the test“ keine Nebenwirkung der Zentralmatura sein werde? Wir werden es schon schaffen, dass unsere SchülerInnen in Hinkunft Sätze nicht mit den ersten drei, fünf oder gar sechs Wörtern identifizieren, sondern mit exakt fier, viehr oder vier.

(1) Mail des BIFIE vom Nachmittag des 10. Mai 2013 an die Direktionen.

(2) a.a.O.

Bild lizensiert von BIGSTOCKPHOTO.


7 Gedanken zu “Gerhard Riegler: „To bee or not to bee“

  1. Thaat is absoluttly wright/rite/write or right!
    Wenn’s nicht so ernst wäre, müsste man schallend lachen!
    Eine gestresste Englisch-Kollegin 🙂

  2. Ich weiß nicht, was mich mehr verzweifeln lässt: Das mangelnde Verständnis für valide Testverfahren von EnglischkollegInnen, oder die Unreflektiertheit mit der das Halbwissen dann hier präsentiert wird.

    1) Das Problem mit der Aufgabenstellung „Richtig/Falsch mit Begründung“

    Es stimmt, dass es dafür bis jetzt sehr wenig Übungsmaterial gab, da dieses Testformat in den vergangenen Jahren kaum vorgekommen ist. Es war jedoch in dem Übersichtsblatt zu den verwendeten Testformaten eindeutig angeführt, sollte mit den SchülerInnen also auch geübt worden sein. Aufgabenstellungen mit „Richtig/Falsch“ gibt es schließlich wie Sand am Meer, die SchülerInnen zusätzlich aufzufordern auch noch die passenden vier Wörter dazuzuschreiben ist wirklich kein Aufwand. Schließlich würde man im Unterricht die SchülerInnnen ja auch dazu auffordern ihre Wahl (eben mündlich, oft durch Nennung des entsprechenden Satzes) zu begründen.

    Ich glaube es sollte Maturanten zuzutrauen sein, nach ausreichender Erklärung und Übung die ersten vier Wörter eines Satzes abzuschreiben. „Auch das Einhalten formaler Regeln gehört zu den standardisierten Prüfungsbedingungen.“ – wer mit diesem Satz ernsthaft ein Problem hat, sollte seine Wissen dazu was es heißt vailde zu testen, kritisch hinterfragen.

    2) Die Sache mit der Rechtschreibung, oder was ist wann richtig.

    Der Text erweckt den Eindruck, als ob völlig willkürlich bei manchen Aufgabenstellungen Rechtschreibfehler erlaubt sind und bei manchen nicht. Das stimmt einfach nicht.

    Das BIFIE hat hier (entgegen der viel gescholtenen internationalen Prüfungskultur) entschieden, dass bei den Tests zu rezeptiven Fähigkeiten Rechtschreibfehler nicht gewertet werden. Das ist für mich nachvollziehbar, schließlich soll hier ja möglichst ausschließlich das Lese- und Hörverständnis, und nicht die korrekte Sprachproduktion bewertet werden.

    Diese Entscheidung führt natürlich dazu, dass man jetzt im Einzelfall glänzend darüber diskutieren kann, welche Schreibweise noch als richtig akzeptiert wird und welche nicht. Auch ich kann die Entscheidung der native speaker hier nicht immer nachvollziehen. Aber jeder der schon einmal mit einem muttersprachlichen Sprachassisstenten in der Schule gearbeitet hat wird wissen, dass sie oft völlig andere Vorstellungen davon haben als man selbst was verständlich ist und was nicht. Ich maße mir nicht an, besser als ein Muttersprachler beurteilen zu können was verständlich ist und was nicht.

    Völlig anders ist es bei der Überprüfung der produktiven Fähigkeiten: Hier wird jeder Rechtschreibfehler als falsche Antwort gewertet, da bei diesen Testformaten die Rechtschreibung eine zu testende Kompetenz ist, vor allem wenn es um wordbuilding. Hierzu gehört eben auch, dass das Affix „ful“ immer mit einem „l“ geschrieben wird (awful, beautiful, careful, forgetful, aber eben auch fulfill).

    Cambridge wertet jeden Rechtschreibfehler immer als falsch und erspart sich damit die Diskussion um dieses Thema und den Aufwand die Antworten genau durchzusehen. Ich finde es toll, dass das Testformat für unsere SchülerInnen bei der Beurteilung genauer darauf achtet, welche Kompetenz eigentlich gerade geprüft wird.

    3) Das Gespenst „teaching to the test“

    Ich verstehe einfach nicht, was plötzlich so schlimm daran sein soll, SchülerInnen auf Prüfungssituationen vorzubereiten. Hat man das früher nie gemacht? Wurden von SchülerInnen jahrelang verlangt auf bestimmte Arten ihre Fähigkeiten zu zeigen nur um dann bei Prüfungen plötzlich etwas ganz anderes zu verlangen? Wenn ja, dann bin ich sehr froh, dass es jetzt für SchülerInnen nachvollziehbarere Prüfungsbedingungen gibt. Wenn nein, dann finde ich die Aufregung die jetzt darum gemacht wird überzogen.

    Rhetorik beiseite: Man hat doch SchülerInnen immer schon auf die Art der Fragestellung vorbereitet, egal in welchem Fach, egal für welche Prüfung. Der einzige Unterschied besteht doch darin, dass es jetzt standardisierte Formate sind, anstatt tradierter Formate aus der eigenen Schulzeit, der Uni oder dem Schulbuch.

    Ich glaube, dass es vielen nur deshalb so als „teaching to the test“ auffällt, weil sie SchülerInnen jetzt auf Formate vorbereiten müssen, die sie selbst in ihrer Schulzeit noch nicht hatten. Wenn sie die SchülerInnen auf alte Formate vorbereiten würden („Summarize the text“ – kalte Schauer der Erinnerung laufen mir da über den Rücken), würde ihnen das nie als „teaching to the test“ auffallen, obwohl es das genauso war und ist.

    4) Zum Abschluss
    „Die aktuellen Englisch-Klausuren lösten auch bei Zentralmatura-VeteranInnen Kopfschütteln aus.“ Nicht bei allen. Vielleicht nur bei denen, die sich noch nicht wirklich mit der Testkultur dahinter beschäftigt haben? Gut, dass die Gewerkschaft die KollegInnen dabei unterstützt, statt nur undifferenzierten Unmut zu kommunizieren!

    1. Lieber Herr Kollege Kaplan,
      vorneweg meine Erfahrungen mit der heurigen Englisch-Zentralmatura.
      Ich habe – ganz im Sinne Ihrer Argumentation – leichten Herzens bei den (erfreulich) wenigen KandidatInnen, die „fullfill“ statt „fulfill“ geschrieben haben, diesen Fehler als falsch gewertet.
      Zum Glück hat keine/r meiner KandidatInnen anstelle von „themselves“ das doch recht exotische „theirself“ geboten. Hier hätte es der Überwindung großer innerer Widerstände meinerseits bedurft, dafür einen Punkt zu vergeben.
      Ob tatsächlich viele Muttersprachler „theirself“ als nicht sinn- und verständnisstörende Variation von „themselves“ empfinden, wage ich zu bezweifeln. Viel eher halte ich diese „Großzügigkeit“ für den Versuch, auch jenen KandidatInnen zu einer positiven Note zu verhelfen, denen es bei der englischen Sprachbeherrschung an deutlich mehr gebricht als an der korrekten Schreibung von „fulfill“.
      All das verblasst allerdings neben einem Lapsus, den sich das BIFIE höchstselbst geleistet hat. Da an meiner Schule der Schreibteil noch nicht zentral vorgegeben war, habe ich davon allerdings erst vor wenigen Tagen erfahren.
      KandidatInnen hatten für die Entscheidung zwischen „fullfill“ und „fulfill“ rund eine Minute Zeit, und das unter einem gewissen Stress und ohne jede Hilfsmittel (Lexika, Internet etc.).
      Die „ExpertInnen“ des BIFIE hatten für die Entscheidung zwischen „young peoples‘“ und „young people’s“ Monate Zeit, konnten unbegrenzt Muttersprachler und Lexika beiziehen, und entschieden sich dennoch dafür, die falsche Variante tausendfach in Druck zu geben.
      Ich gehe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon aus, dass das BIFIE jenen, die sich den „young peoples‘“ Fehler geleistet haben, keinen Punkt, pardon Euro, vom üppigen Honorar abgezogen hat.

      1. Sehr geehrter Herr Kollege Jantschitsch,

        Ich stimmt Ihnen zu, dass die doch sehr großzügige Auslegung der richtigen Antworten wohl politisch gewollt ist. Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus meine ich aber dennoch, dass wir als Lehrer hier oft strengere Maßstäbe anlegen als Muttersprachler. Ab nächstem Jahr wird das allerdings ohnehin keine großen Auswirkungen mehr auf den Anteil der positiven Beurteilungen haben, wenn die rezeptiven und produktiven Teile getrennt voneinander positiv sein müssen.

        Ihren zweiten Punkt kann ich nicht nachvollziehen. In meiner Version der Schreibaufträge ist die Schreibweise korrekt (siehe die Onlineversion unter https://www.bifie.at/system/files/dl/KL13_PT1_AHS_ENG_SR_B2_AU.pdf). Ich persönlich hätte mit einem solchen Fehler auch ein kleineres Problem als mit einer schlecht erstellten Aufgabenstellung, die ich auch heuer wieder sehr gelungen fand.

        Und zum üppigen Honorar: Die meisten BIFIE Mitarbeiter die ich kenne, sind freigestellte Lehrer, die ihre normalen Bezüge weiter beziehen und jetzt im Büro 38,5 Stunden pro Woche mit fünf Wochen Urlaub im Jahr arbeiten. Das kann man jetzt als üppiges Honorar bezeichnen wenn man will, am Arbeitsmarkt bezahlt man für Akademiker üblicherweise mehr.

        (Das das nicht für die politisch bestellten Direktoren gilt ist mir bewusst, aber wir leisten uns in Österreich ja auch immer noch zahlreiche andere Behörden und einen Bundesrat voller Versorgungsposten, da sollte man nicht so kleinlich sein.)

  3. An besagtem bifie mail hat mich vielmehr gestört, dass einerseits ein Testformat eindeutig vorgegeben wird (und auch im Vorfeld war das hinreichend bekannt), dann soll das Einhalten oder Nichteinhalten des Selbigen auf einmal keine Rolle mehr spielen. Ich hatte jedenfalls meine SchülerInnen auf so ein Format vorbereitet. So ein großes Problem seh ich darin nicht, finde es auch nicht als „Teaching for the Test“.
    Einige tolerierte Varianten bei den Hör- und Leseaufgaben (in meinem Fall vor allem in Spanisch) haben mich da weit mehr irritiert, auch wenn sie den Wünschen, keine negativen Noten mehr zu vergeben, sehr entgegen kommen.

  4. Grüß Gott allseits!

    Ich bin kein Lehrer, sondern Geschäftsführer eines mittelgroßen IT-Unternehmens. Als potentieller Arbeitgeber erhalte ich laufend auch Bewerbungen, deren Stil und Rechtschreibung katastrophal sind. Man merkt die SMS-Generation, für die die Sprache keine Regeln mehr braucht, und wo man sicht nicht einmal mehr die Mühe macht, die automatisierte Rechtschreibprüfung einzusetzen. Wenn die Bewerber (Uniabsolventen und Maturanten gleichermaßen) sich schon um solche Regeln nicht scheren, wie kann ich da erwarten, dass sie dann die Unternehmensregeln einhalten? Aber statt korrekter Revhtschreibung wird „gegendert“, und das in den abenteuerlichsten Formulierungen und Schreibweisen.

    Übrigens: wenn meine Leute in einem englischen Text „fulfill“ falsch schrieben, würde ich das als leichten Fehler sehen, bei den anderen oben erwähnten Beispielen würde sicherlich ein ernstes Gespräch zum Thema Sorgfalt folgen. Also, mir ist Haltung von Herrn Kaplan unverständlich; Sprache – und damit Kommunikation – unterliegt halt einmal Regeln.

    P.S.
    Geschrieben auf dem iPad, also ohne Rechtschreibprüfung….

    1. Sehr geehrter Herr DI Huber,

      Schön zu sehen, dass hier auch Nicht-Lehrer mitlesen und mitreden!

      Vollste Zustimmung zu Ihrem Kommentar meinerseits. Ich denke, ich habe meine Haltung wohl nicht klar genug gemacht: Es geht mir gerade darum, dass es kein Problem sein kann von SchülerInnen die Einhaltung von Regeln zu fordern.

      Was ich meiner Meinung nach auf diesem Niveau aber nicht fordern kann, ist eine perfekte Rechtschreibung in einer Aufgabe, die – in das Geschäftsleben übersetzt – die Mitschrift der wichtigsten Inhalte eines Telefonats ist. Hier würde wohl gerade in der Realität ein sehr milder Maßstab angelegt – solange der Mitarbeiter Ihnen sagen kann, was der englische Anrufer genau wollte, wird ihnen die Qualität seiner Notizen wohl egal sein.

      Im produktiven Teil, also zum Beispiel beim Schreiben eines Geschäftsbriefs, ist die Rechtschreibung und sonstige Sprachrichtigkeit natürlich ein wichtiger Aspekt der Beurteilung.

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